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Start der Zentralen Prüfungen 10 (ZP10) in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch in NRW
LEiS-NRW e.V. teilt dazu mit:
Mit dem Beginn der diesjährigen ZP 10 absolvieren erneut rund 148.000 Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen eine Abschlussprüfung, deren bildungspolitische Legitimation zunehmend in Frage zu stellen ist. Die Landeselternschaft der integrierten Schulen in NRW (LEiS-NRW) spricht sich daher wiederholt und nachdrücklich für die Abschaffung der ZP 10 aus.
Aus pädagogischer, struktureller wie auch bildungsgerechter Perspektive erweisen sich die zentralen Prüfungen im 10. Jahrgang als nicht mehr zeitgemäß, als belastend für alle Beteiligten und in ihrer Wirkung als kontraproduktiv für das Ziel eines chancengerechten Bildungssystems.
Zentral gestellte Abschlussprüfungen suggerieren ein hohes Maß an Objektivität und Vergleichbarkeit. Tatsächlich jedoch führen sie in einem stark heterogenen Schulsystem wie dem nordrhein-westfälischen zu einer Nivellierung individueller Voraussetzungen, die Schülerinnen und Schüler in unterschiedlichem Maße mitbringen. Schulen in sozial belasteten Regionen, in denen viele Kinder und Jugendliche unter schwierigen äußeren Bedingungen lernen, sehen sich im Rahmen der ZP 10 denselben Anforderungen gegenübergestellt wie Schulen in privilegierten Lagen. Das entspricht nicht dem Prinzip der Bildungsgerechtigkeit, sondern festigt bestehende Ungleichheiten. Die zentrale Standardisierung wirkt hierbei nicht als Korrektiv, sondern als Verstärker sozialer Disparitäten.
Integrierte Schulformen wie Gesamtschulen, Sekundarschulen und Primusschulen arbeiten erfolgreich mit binnendifferenzierten, individuell angepassten Lernangeboten. Diese pädagogische Grundhaltung wird durch zentralisierte Prüfungsformate wie die ZP 10 konterkariert. Lehrkräfte werden gezwungen, Unterricht verstärkt auf prüfungsrelevante Inhalte zu verengen, statt die gesamte Bandbreite des Lernens zu nutzen, die auf Persönlichkeitsentwicklung, soziale Kompetenzen und selbstgesteuertes Lernen zielt. Die Prüfung selbst stellt einen Moment der Selektion dar, der in Widerspruch zum integrativen Bildungsauftrag dieser Schulformen steht. Schülerinnen und Schüler, die nachweislich über Jahre hinweg Lernfortschritte gemacht haben, werden durch eine einmalige schriftliche Leistung auf einen Notenwert reduziert, der ihre Entwicklung nur unzureichend abbildet.
Zudem ist zu betonen, dass kein wissenschaftlich fundierter Nachweis existiert, der einen positiven Effekt zentraler Abschlussprüfungen auf die allgemeine Bildungsqualität belegen würde. Vielmehr zeigen zahlreiche Studien, dass standardisierte Prüfungsformate häufig zu sogenannter „Teaching to the Test“-Praxis führen – einem Unterricht, der primär auf Prüfungserfolg, nicht aber auf nachhaltigen Kompetenzerwerb ausgerichtet ist. Diese Entwicklung ist aus Sicht der LEiS-NRW höchst problematisch, da sie den Bildungsbegriff auf kurzfristige Leistungsabfragen verengt und grundlegende Bildungsziele verfehlt.
Hinzu kommt die erhebliche psychische Belastung, die von den ZP 10 auf die Schülerinnen und Schüler ausgeht. Prüfungsangst, Versagensdruck und ein reduzierter Blick auf individuelle Stärken und Interessen sind die Folgen. Die Schule als Lebens- und Lernort wird durch diese Form der Abschlussbewertung zum Ort der Selektion, nicht der Ermutigung. Dabei steht ein alternatives Verfahren längst zur Verfügung: Schulinterne Abschlussverfahren mit landesweit abgestimmten Kompetenzanforderungen könnten ebenso Vergleichbarkeit ermöglichen – bei gleichzeitiger Wahrung pädagogischer Autonomie und individueller Förderung.
Schließlich ist auch die politische Signalwirkung der ZP 10 kritisch zu bewerten. Ein zentralisiertes Prüfungssystem sendet das falsche Signal an Schülerinnen und Schüler: Es vermittelt, dass Vertrauen in die professionelle Beurteilung durch Lehrkräfte nicht ausreichend ist, dass individuelle Lernwege weniger wert seien als normierte Ergebnisse und dass Bildung primär einer Kontrolle und nicht der Entfaltung dient. Das ist eine Haltung, die einem modernen, chancengerechten Bildungssystem widerspricht.
Die Landeselternschaft der integrierten Schulen NRW fordert daher mit Nachdruck die Abschaffung der Zentralen Prüfungen 10. Sie sind weder pädagogisch noch bildungspolitisch zu rechtfertigen und stehen der Weiterentwicklung eines inklusiven, förderorientierten und gerechten Schulsystems im Weg. Stattdessen muss eine Reform der Abschlussverfahren angestrebt werden, die schulische Eigenverantwortung stärkt, Bildungsbiografien individuell würdigt und allen Schülerinnen und Schülern echte Teilhabe an Bildung und gesellschaftlicher Entwicklung ermöglicht.
Harald A. Amelang
Team Vorstand
LEiS-NRW e.V.
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